Ausstellung

1998

Ausstellungseröffnung in der Vertikalen Galerie Lübben

Lübben, am 19. Februar 2013

Rede zur Ausstellungseröffnung

Herbert Schirmer


Frank Beutel ist ein Künstler, der lieber Zurückhaltung übt, anstatt sich vorzudrängen, einer der das eigene Wesen suchend, Sensibilität und Offenheit gegenüber allem lebt und - der gern Fragen nach sinnfälliger Lebensbewältigung unter erschwerten Bedingungen stellt. Einer, der auf seinem Empfindungsvermögen als Künstler aufbaut, der gesellschaftliche Triebkräfte transformiert und unmissverständlich anzeigt, in welch labiler Verfassung unsere Welt bei alledem steckt. Es ist das aufmerksame, das besondere Erleben und die kritische Beobachtung des Alltags, die immer wieder neue Impulse zur Auseinandersetzung damit auslösen. Dabei geht es ihm um das Aufzeigen einer Realität fern von Utopien und virtuellen Scheinwelten, um ein Reagieren auf die politischen, sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre und die damit verbundenen Verunsicherungen unseres gegenwärtigen Daseins.

Unschwer also zu erkennen, dass Frank Beutel sich mit existenziellen Themen befasst. Der Mensch, das rätselhafte Wesen, steht als Archetyp, Maskenträger, Sinnsucher oder als Künstler im

Mittelpunkt seines Interesses. Aus diesem Interesse heraus entwickelt er Bilder mit hohem thematischem Anspruch, die sich mit dem moralischen Verhalten der Gesellschaft ebenso auseinandersetzen, wie sie Sehnsüchte und Einsamkeitser-fahrungen des Individuums verdeutlichen. Das Auffallende an unserer Ausstellung ist nicht nur die dicht gestaffelte Präsentation, die Ähnlichkeit mit der so genannten Petersburger Hängung aufweist, sondern die stilistische mediale und themenbezogene Vielfalt, mit der Frank Beutel uns überrascht. Was mit einem übersteigerten Realismus, mit kompositorischer Zuspitzung und malerische Finesse ins Auge drängt, ist in der Tat nicht nur ein Reflex auf individuelle Befindlichkeit, es ist die Suche nach gültigen Ausdrucksformen, nach einem allgemeinen Ausdruck der Zeit. So versucht er das Wesenhafte in den porträtierten Figuren freizulegen, die vom Leben hinterlassenen Spuren nachzuzeichnen und ihr Ringen mit den Umständen zu versinnbildlichen. Darum zielt er mit zeichnerischer und malerischer Genauigkeit auf Herstellung von authentischer Lebensnähe, wobei seiner zeitbezogenen Darstellungsweise eine geheimnisvoll überhöhte Wiedergabe der Wirklichkeit gegenüber steht, die nicht selten in einer Verschlüsselung der Bildaussage mündet.

Deutlich wird das im geheimnisträchtigen, der Ausstellung den Titel gebenden Bild ABACADABRA, in dem seine sozialkritisch konnotierten Bildnistypen eine starke physische und psychische Präsenz entwickeln. Allein die Farbigkeit spiegelt die Verfassung des an die Personnage der Commedia dell ́Arte erinnernden Figurenensembles. Unwillkürlich wird der Blick in das beunruhigende Bildgeschehen hineingezogen und wandert suchend und fragend von Gestalt zu Gestalt, vom Bild beherrschenden weiblichen Halbakt zu den Marionetten des Punk oder der Hexe,

ohne eine schlüssige Antwort aus diesem satirischen Gesellschaftsbild zu erhalten. Bleibt die Frage, ob es sich hierbei um eine Spielart von Alltagsrealismus mit gesellschaftsrelevanten ironischen oder moralisierenden Einlassungen handelt oder ob hier differenzierte Daseinsformen des Individuellen demonstriert werden? Wer weiß, vielleicht hat sich die Gesellschaft skurriler, anatomisch leicht deformierter Wesen aus ganz verschiedenen Bild- und Wirklichkeitsbereichen zu einem Konvent mit dem aktuellen Thema Werteverluste getroffen? Es könnte auch ein Gleichnis mit der Erkenntnis sein, dass wir trotz des hohen Gutes Freiheit auf seelische Konflikte, auf Einsamkeit und Langeweile zurück geworfen werden? Es ist die Ambivalenz seiner Motive, seine vordergründige wie abgründige Detailgenauigkeit, die für das Panoptikum der Verstörung bei Frank Beutel sorgt. Am Ende bleibt das Rätselhafte rätselhaft, denn der überzeitliche, raumlose und gleichnishafte Bezug seiner Figuren ist ihm ohnehin wichtiger als jede überprüfbare Interpretationsempfehlung.

Stilistisch mit den Menschenbildern verwandt, handelt es sich bei den großformatigen Wandmalereien, hier beispielhaft mit Karton-Vorlagen vertreten, meist um gemalte Allegorien, die sich mit Problemen der Liebe, des Erfolgs, dem Rollenspiel der Geschlechter, aber auch mit Gewalt und Tod auseinandersetzen. Beeinflusst von der allgegenwärtigen Reklame, den Comic-strips, Pin- ups und Science-fiction-Stories vereint Beutel verschiedene menschliche und kulturelle Schichten und verortet deren Protagonisten häufig in bunten, poprealistischen Bildern. Dabei vereinfacht er einzelne Bestandteile dieser anekdotischen Bildwelt auf grafische-flächige Weise und kombiniert sie mit abstrakten, auch surrealistischen Elementen. Unabhängig davon, ob Giebelwände oder Wandbilder für Innenräume, ob szenische Moralbilder oder apokalyptische Zukunftsvisionen zitiert werden, die zumeist expressiven figurativen Darstellungen zeichnen sich trotz Vereinfachung durch Intensität und suggestive Faszination aus. Beutel selbst spricht von Poesie und Erzählfreude, verweist auf Quellen wie die Pompejanischen Wandmalerei. Dass er seit seinem Diplom 1986 an mehr als 30 großflächigen Gestaltungen vor allem in Berlin maßgeblich beteiligt gewesen ist, dass er unterschiedliche Bildelemente plakativ zu collageartigen Darstellungen in stark farbigem Kolorit verbindet, empfiehlt ihn geradezu nachhaltig zu einem Spezialisten für visionäre Weltentwürfe.

Im Gegensatz zur zeichnerischen Präzision der Wandmalerei drängt sich bei den Bildern aus dem urbanen Milieu der Eindruck von nachimpressionistischer Landschaftsmalerei auf. Straßen, Plätze und Bauwerke erscheinen sowohl im spröden Gestus prosaischer Sachlichkeit, als auch in farblich ausgewogener, stimmungsvoller Atmosphäre. Sowohl in den Ölbildern mit ihren porösen Oberflächen, den fließenden Farbübergängen und melodischen Flächenverbindungen als auch in den schemenhaften Zeichnungen schwingen Kontemplation und melancholische Vergewisserung


des Tatsächlichen mit. Beutel erreicht bei Wahrung der großen Form und durch Schattensetzung eine unverwechselbar gedämpft farbige, von unwirklichem Zwielicht betonte Darstellung, in der die Zeit still zu stehen scheint. Was für eine nachhaltig melancholische Atmosphäre verbreitet das vom Motiv architektonischer Leerstellen charakterisierte und 1994 entstandene Bild vom Prenzlauer Berg, in dem die Vergänglichkeit ihre Spuren eingegraben hat, bevor das legendäre Viertel generalstabsmäßig aufgehübscht wurde. Ohne es zu wollen, wird der Maler zum Dokumentaristen. Ein Dokumentartist malerischer Motive freilich, dem es spielend gelingt, Harmonie, Anmut und Historizität mit impressionistischer Zartheit und sinnlicher Wirklichkeitsnähe virtuos zu vereinen.

Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung ABRACADABRA, am 19.02.2013, in der VERTIKALE-GALERIE Lübben