Ausstellung

1998

Ausstellungseröffnung in der Kreuzkirche Dresden

Dresden, am 09. Februar 2017

Mahnung, Versöhnung, Aufbruch

Jens Wollenberg

Es gibt Orte, da kann, soll und muss man inne halten, wenn man sie betritt. Einer dieser Orte ist die Kreuz-Kirche in Dresden. Seit über 70 Jahren ist der Name dieser Stadt und mit ihr die Kreuzkirche mahnendes Symbol für die Schrecken des Bombenkrieges, für Feuersturm und Tod. »Am Abend dieses 13. Februar brach die Katastrophe über Dresden herein: die Bomben fielen, die Häuser stürzten, der Phosphor strömte, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische Köpfe...« So beschreibt Victor Klemperer in seinen Tagebuch-Einträgen das Inferno 1945. Die Kreuzkirche ist aber auch ein Symbol der Versöhnung. So trat der Kreuzchor seit 1955 noch in den Ruinen der ausgebrannten Kreuzkirche als Zeichen der Versöhnung und Mahnung mit Rudolf Mauersbergers Requiem „ Wie liegt die Stadt so wüste“ auf.

Heute ist die Kreuzkirche auch eine Stätte des Aufbruchs und des Wandels. So stand sie auch in der Wendezeit im Zentrum der friedlichen Revolution. Schon in den 1980er Jahren wurde die Kreuzkirche zum Treffpunkt für oppositionelle Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen. Von hier aus nahmen 1989 die Kerzenmärsche zur Frauenkirchenruine ihren Ausgang, die bis heute an das Feuerinferno Dresdens erinnern sollen. Gerade in jüngster Zeit hat die Kreuzkirche wieder besondere Bedeutung erlangt als Ort von Frieden und Versöhnung durch die Bürgerdialoge zur Asylpolitik.

Auch die Ausstellung „Mahnung, Versöhnung, Aufbruch“, die heute eröffnet wird, fühlt sich diesem moralischen Auftrag verpflichtet. Die Künstler Hans Fährmann, Günter Böhme und Frank Beutel aus der Gruppe 2010, gleichsam ein „Triumvirat“ der Dahmeländer Kunstlandschaft, umfassen mit ihrem Werk Themen von Mahnung, Versöhnung und Aufbruch. So unterschiedlich auch ihre persönlichen Biographien sein mögen, sind sie doch geprägt durch die politischen und gesellschaftlichen Umstände in der DDR nach dem 2. Weltkrieg und den Veränderungen nach dem Beitritt Ostdeutschlands zur Bundesrepublik. Jeder der drei Künstler verfügt über ein eigenständiges künstlerisches Werk, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Gemeinsame Wurzeln jedoch haben sie in der klassischen Moderne, vor allem in den Kunstauffassungen, wie sie von der Dresdner und Berliner Malschule, sowie vom Bauhaus Dessau im 20. Jahrhundert vertreten wurden. Diese Kunst ist auch immer politisch, ohne parteipolitisch zu sein; diese Kunst ist auch immer realistisch, allerdings verformen die Künstler die von ihnen wahrgenommene Realität zu einer neuen poetischen Welt, um an wesentliche Essenzen vorzudringen. Dieser Ansatz eint die drei Künstler der Gruppe 2010, ob in Malerei oder Grafik, trotz ihrer Verschiedenheit der verwendeten Techniken, Formen und Inhalten.

Als Künstler der Mahnung fest verbunden mit dem Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 ist Hans Fährmann, der eigentlich als Hans Schönbach am 26.11. 1938 in Dresden geboren ist. Ich wage zu behaupten, dass sich das Schicksal dieser Stadt für Hans Fährmann lebensbestimmend ausgewirkt hat. Dort hat er am 13. Februar 1945 den Bombenangriff und den nachfolgenden Feuersturm miterlebt und einen Teil seiner Familie verloren. Beides hat sich tief in sein Gedächtnis eingegraben, wie er in einem Interview schildert: „Die Stadt war völlig schutzlos, besaß weder eine Flugabwehr noch waren irgendwelche Hochbunker für die Bevölkerung gebaut worden. In dieser Nacht versank die wunderbare barocke Kunst- und Kulturstadt von europäischem Rang in Schutt und Asche. Der Untergang des alten Dresden mahnt deshalb: Nie wieder Krieg! Der Krieg ist nicht der Vater aller Dinge, sondern der Vernichter des Lebens, aller moralischen und materiellen Werte.“ Deswegen versteht er sich Zeit seines Lebens als ein entschiedener Gegner von Krieg und Gewalt und setzt sich mit diesem Thema immer wieder auseinander. Ausdruck dieser Auseinandersetzung ist sein Jahrzehnte später entstandenes Bild: Dresdner Fastnacht. Auch deswegen hat er seinen alten Namen abgelegt und den Namen

„Fährmann“ angenommen als ein Künstler, der mit seinen Graphiken und Gemälden Botschaften gegen Gewalt und Krieg von den Gestaden des Künstlers zum Ufer des Betrachters überführen will.

Seine Graphiken und Bilder zwischen Nostalgie und Gegenwart beinhalten eine Affinität zur Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Nicht umsonst fühlt er sich thematisch der Künstlergruppe „Die Brücke“ verwandt, die den zeitgenössischen Betrachter aufrütteln und beunruhigen wollte. Ähnlich wie die Maler der „Brücke“ arbeitet Hans Fährmann mit intensiver und kontrastreicher Verwendung von Farbe, mit Veränderung der Form durch bewusste Vergröberung und Verzicht auf Details mit einem „holzschnittartigen“ Charakter und mit kantigen Formen. Auch thematisch ähneln die Motive seiner Graphiken und Bilder den Motiven der „Brücke“: Menschen in Bewegung, Zirkus und Varieté, die Nacht, das Hintergründige, Mensch und Natur, Tanz, Leben in der Großstadt und menschliche Akte. Seine Bildsprache allerdings bedient sich surrealer Elemente und dekorativer Formen. Die Titel, z. B. Leben - Kunst – Tod“ oder „Arroganz der Macht – Opfer“ bzw. Arroganz der Macht – Täter“ und „Der Untergang Dresdens“ weisen ihn als einen bipolaren Themen zugewandten Künstler aus, der weniger die Auflösung eines dialektischen Widerspruchs sucht, sondern den Gegensatz in seiner Unversöhnlichkeit darstellt. Dieser Gegensatz findet seine formale Entsprechung in der Verwendung der montageartig komponierten Motive. Dieser Gegensatz drückt sich auch aus durch den Kontrast der schwarzen und weißen Linien, die sich zwar berühren, aber nie durchdringen. Meisterhaft integriert er Bildzitate berühmter Maler zu einem eigenständigen und originellen Stil.

Aus der gleichen Zeit stammt der 1940 in Naumburg an der Saale geborene Günter Böhme. Er versteht sich selbst als Vertreter des realistischen Expressionismus, einer Generation von Künstlern, die lange Zeit in Vergessenheit geraten war und erst mit den

1980er Jahren als so genannte „verschollene Generation“ wieder in das Kunstinteresse ihren Platz eroberte. Günter Böhme, der neben seinen Gemälden auch Keramiken, Holzschnitte und Collagen gestaltet, hat neben seiner künstlerischen Tätigkeit nach dem Studium der Kunsterziehung an der Humboldt-Universität intensiv im kunstpädagogischen Fachbereich gelehrt, zuerst bis 1986 als Kunsterzieher in Berlin –Karlshorst und im Fachverband Bildender Künstler, von 1986 bis 1991 als Fachschuldozent für künstlerische Praxis am Institut für Lehrerbildung Berlin. Nach der „Abwicklung““ und Schließung des Instituts 1991 bis 2003 unterrichtete er als Fachleiter Kunst am Coppi-Gymnasium Berlin- Karlshorst, da es schon immer sein Anliegen war, junge Menschen an die Kunst heranzuführen.

Günter Böhme ist einer, der vieles an gesellschaftlichen und politischen Prozessen, Umbrüchen und Konflikten wiedergeben könnte, wenn er denn wollte. Für ihn tritt aber das Leben des Künstlers hinter das Werk zurück. Das Bild soll für sich sprechen. Nur in den Augen des Betrachters erschließt das Bild seinen Sinn.

Günter Böhme versteht das Bild als Bühne, gleichsam ein Welttheater. Seine Bilder bieten Verknüpfungen zwischen realen und gedanklichen Bezügen. Sie beinhalten ein Gegeneinander von Wunsch und Wirklichkeit und suchen ein Miteinander als Pole eines gemeinsamen Widerspruchs. In so fern ist Günter Böhme ein Künstler der Versöhnung. In dieser Ausstellung werden vornehmlich Böhmes Figurenbilder gezeigt. Seine Figurenbilder zeichnen sich durch Vielschichtigkeit aus, sie lösen Widersprüche, Misstrauen, aber auch Zuspruch aus. In der gegenwärtigen, medial vermittelten Flut der Bilder rückbesinnen sie sich auf den Geist der Aufklärung als unbedingte Notwendigkeit für die Erkenntnis von historischen Prozessen. Sie suchen die Stille des Dialoges. Unsere Welt kann nur noch aus der ironischen Sichtweise des Narren, der ja immer auch ein Suchender ist, wahrgenommen und vermittelt werden. Durch diese Ironie wird Wahrheit erträglich, indem sie ein Lachen auslöst. Böhmes Figuren haben stets etwas Clowneskes, es sind Harlekine, deren


ursprüngliche Krone zur Narrenkappe umgeformt wird. Auf dem Marktplatz der Welt unterläuft der Harlekin die Gesellschaftsordnung und bringt sie ins Wanken, indem er unangenehme Wahrheiten vermittelt. Johann Christoph Gottsched, ein Dramentheoretiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts und Gegenspieler Lessings , hat zwar den Harlekin von der deutschen Bühne der Aufklärung verbannt, doch im Sinne der Aufklärung - "Sapere aude!", oder auf Deutsch: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" – gehört er gerade als Vermittler von Wahrheit dorthin, so wie Böhmes Figuren zum Essentiellen der Wahrheit vordringen.

Der Dritte des künstlerischen Dreigestirns aus dem Landkreis Dahme-Spreewald ist der in Zeuthen lebende Frank Beutel. Der Jüngste der sich in der Ausstellung präsentierenden Künstler ist 1955 in Zernsdorf, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, geboren. Nach dem Studium an der Kunstschule Berlin-Weißensee arbeitet und lebt er als freischaffender Künstler in Berlin und jetzt in Zeuthen. Er ist ein Künstler des Aufbruchs. Seine Bilder senden künstlerische Mitteilungen, die in verschiedenen Bildformen dem Charakter historisch gewachsener städtischer Bebauung nachspüren, vor allem mit Motiven aus Berlin, das mit seinem historischen Charme und seiner einer Insel vergleichbaren Lage für Frank Beutel den Begriff Heimat beinhaltet. Eine Heimat, die ständigen Veränderungen unterworfen ist. Symptomatisch für sein bildnerisches Werk zu Berlin oder anderen Städten ist das in dieser Ausstellung gezeigte Ölbild „Prenzlauer Berg“, bei dem das triste Milieu ästhetisch erlebbar wird. Eine vom Putz entblößte und von den Wetterbedingungen verwitterte Brandwand versinnbildlicht das über Generationen entwickelte menschliche Dasein einer Stadt nach dem Krieg bis in die heutige Zeit in einer ironischen Spiegelung von Vergangenheit und Gegenwart. Beutels Bilder sind nicht nur Dokumentation eines Zustands, sondern künstlerische Verdichtungen menschlicher Lebens- und Erfahrungsräume im Wechsel verschiedener Stimmungslagen und auch Tages- oder Jahreszeiten. Seinen Bildern wohnt eine ernste Schönheit inne.

Auf seinen Reisen nach Neapel und Pompeji hat er bei den antiken Künstlern die klassische Leichtigkeit und Heiterkeit entdeckt, die nur durch höchste Professionalität zu erreichen ist. Er selbst vergleicht diese Kunstfertigkeit mit der Virtuosität eines Musikers, der sein Instrument spielerisch leicht beherrscht. So ist es nicht verwunderlich, dass Frank Beutel die Zusammenarbeit mit Musikern gesucht und in dem russischen Komponisten Sachar Katz gefunden hat. Aus dieser Zusammenarbeit resultiert das Projekt "Gendarmenmarkt Berlin - Square Of Respect" mit zehn Miniaturen des Komponisten und Bildern von Frank Beutel als virtuoser Zusammenklang von Zeit, Raum und Bewegung in verschiedenen Medien- Dimensionen. Durch die Beschäftigung mit der Antike und der Renaissance entdeckt Beutel die Sensibilität in Form und Farbe und Lebendigkeit im Ausdruck. Seine tiefe Faszination führt zu intensivem Erkunden in Italien und später in Berlin, um die alten Techniken der Farbenzusammensetzung und Farbenverwendung zu lernen bis zur Weiterbildung bei dem Unternehmen für Keramik- und Tonbedarf Carl Jäger in Berlin. Die dort erlernten Techniken wendet Beutel konsequent in der Gestaltung von Gebäudewänden an, wie in der Ausstellung auf dem Schaufotographien zu sehen ist.

Auch in diesen Werken bleibt Beutel seinem Thema „Stadt als gestalteter Raum“ treu. Seine gestalteten Fassaden werden zu Chroniken des sozialen Miteinander der in der Stadt lebenden Menschen. Diese Wandbilder sind öffentlich. Sie bieten den Vorzug, dass sie jederzeit und von jedermann betrachtet werden können. Seine Bilder leben, denn jede Veränderung, ob durch den Menschen oder den Einfluss der Natur, hinterlässt Spuren am Kunstwerk. Der Künstler öffnet durch die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der gewachsenen Stadtbebauung den Blick für eine Architektur, in der Generationen gelebt und tiefe Spuren hinterlassen haben. Das Normale, das Alltägliche erhalten in ihrer ästhetischen Darstellung Würde. Sowohl Beutels Stadtbilder als auch die Gebäudemalerei verzichten auf spektakulären Glanz und starke Kontraste, sondern er komponiert nuancenreichen auf matt gehaltenen Oberflächen.


Künstlergruppen - eigentlich ein Widerspruch in sich - gab und gibt es schon immer, meist unter Leitung einen namhaften Künstlers oder als Zusammenschluss junger Künstler mit ähnlichen ästhetischen Vorstellungen, oft auch gegen den etablierten Kunstbetrieb. Die hier ausstellenden Künstler aus der Gruppe 2010 dagegen, zwischen 1938 und 1955 geboren, besitzen neben persönlich unterschiedlichen Entwicklungswegen, Ausbildungs- und Berufserfahrungen differenzierte künstlerische Handschriften und unterschiedliche Generationserfahrungen. So unterschiedlich die einzelnen Kunstformen und das Spektrum der verwendeten Techniken bei den drei Künstlern auch sein mögen, sie haben gemeinsame Wurzeln in der Klassischen Modernen und lassen die BetrachterInnen teilhaben an einem anhaltenden Prozess des bildkünstlerischen konstruktiven Weitergestaltens beim gemeinsamen Appell im Sinne der künstlerischen und historischen Reflexion von Mahnung, Versöhnung und Aufbruch.

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Auf ein Wort

Wir sind drei Künstler aus dem südlichen Umland von Berlin.

So unterschiedlich auch unsere persönlichen Biographien sein mögen, sind sie geprägt durch die Zeitverhältnisse nach dem 2. Weltkrieg, die gesellschaftlichen Umstände in der DDR und denen nach dem Beitritt Ostdeutschlands zur BRD.

Jeder von uns verfügt über ein eigenständiges künstlerisches Werk, das im Laufe von Jahren und Jahrzehnten gewachsen ist.

Unsere Wurzeln sehen wir in der klassischen Moderne, vor allem auch in den Kunstauffassungen, wie sie in der Dresdner und Berliner Malschule, sowie im Bauhaus Dessau im 20. Jahrhundert vertreten wird.

Wir huldigen weder einer bloßen Dekorationsmalerei noch einer partei- politischen Aufgabenstellung. In unserer künstlerischen Arbeit gehen wir von der Realität aus, verformen sie eigenwillig und schaffen auf diese Weise eine neue poetische Welt, die in das Wesen der Dinge eindringt.

Bewußt heben wir die menschliche Figur unter den verschiedenen Aspekten hervor. Sie gehörte kunstgeschichtlich immer zur Königsklasse der Malerei.

Unser Anliegen ist es, auf diese realitätsbezogene Herangehensweise durch Malerei und Grafik stärker aufmerksam zu machen, als es gegenwärtig im Kunstgeschehen der Fall ist.

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Die Flyer zur Ausstellung wurden am Tag der Ausstellungseröffung von der Druckerei geliefert...


Zur Ausstellungseröffnung in der Kreuzkirche waren zwei Redner und  13 Gäste anwesend.


Überraschung am 20.3.2017 - zwei Bilder waren abgehängt und weggestellt,


dafür stand an selbiger Stelle eine Hörstation und eine Info-Tafel.